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Lehrerin Katri Jäntti

„Wir sind für jeden Schüler verantwortlich“

Positive Bestärkung und Ermunterung statt öffentliche Suche nach Fehlern und Schwächen: Blick hinter die Kulissen des erfolgreichen finnischen Bildungssystems.

Von Tim In der Smitten

Jyväskylä/Berlin. Wenn uns die Pisa-Studie nicht bis tief ins Mark getroffen hätte, könnten wir uns bestimmt mit den Finnen über ihren Erfolg freuen. Nicht nur, dass die Finnen den OECD-Schul-Vergleichstest gewonnen haben, bei dem Deutschland so miserabel abschnitt (Platz 25 von 32). Finnland hat zudem weltweit die wenigsten Analphabeten und wurde erst kürzlich vom Weltwirtschaftsforum zum weltweit wettbewerbsstärksten Land gekürt. ja, sogar die finnischen Kriminalisten lösen ihre Fälle erfolgreicher als alle ihre europäischen Kollegen (Aufklärungsquote 35 Prozent, in Deutschland 5,3 Prozent).

Was ist also dran an den kühlen Blonden aus dem hohen Norden? Grundstock des finnischen Erfolgs scheint die flächendeckende Gesamtschule zu sein, die alle Schüler bis zur neunten Masse besuchen müssen. Eine Schulform für alle Schüler. So scheint Finnland von außen gesehen eine Schulpolitik zu verfolgen, die hier zu Lande für viele als gescheitert gilt. Doch dürfen die deutsche und die finnische Gesamtschule nicht in einen Topf geworfen werfen. Genau davor warnte vor wenigen Tagen auch Jukka Sarjala vor Journalisten in der Finnischen Botschaft in Berlin: „Wer weiter kommen will, muss nicht auf die Gemeinsamkeiten schauen, sondern nach den Unterschieden fragen“, riet der Präsident des Zentralamts für das finnische Unterrichtswesen. Und die Unterschiede sind groß, denn ziemlich vieles machen die Finnen ziemlich anders.

Leichheit als geheiligtes Prinzip

Die Gleichheit der Bildungswege gilt dabei als „geheiligtes“ Prinzip. Im Alter von sieben Jahren kommen die kleinen Finnen auf die Gesamtschule, in der sie den ganzen Tag verbringen. Dort bekommen sie das kostenlose Mittagessen und alle Schulutensilien (inklusive der Stifte und Hefte) gestellt. Die ersten sechs Jahre zählen als Grundstufe, in denen der Klassenlehrer die zentrale Rolle spielt und fast alle Fächer selbst unterrichtet. Nach weiteren drei Schuljahren als Mittelstufe (Klassen 7 bis 9) erreichen die Schüler den ersten Abschluss. Danach trennen sich ihre Wege: Berufsausbildung oder gymnasiale Oberstufe. Die Oberstufe erfolgt im Kurssystem, in dem keine Anwesenheitspflicht mehr besteht. So kann der Schüler auch in Kursen geprüft werden, die er nicht besucht, sondern für die er nur aus Büchern gelernt hat Jeder Schüler kann seinen Stoff also lernen, wo und wie er will. Eine Methode, die das spätere selbstständige Lernen an der Universität erleichtert.

Jeder kann lernen, wo und wie er will

Das funktioniert aber nur, weil jeder Schüler von der ersten Klasse an weiß, was behandelt wird. Denn in Finnland erfolgt der Unterricht in der Regel genau nach Schulbuch. So kann jeder zu Hause den Stoff ständig verfolgen und nacharbeiten. Das Abitur erlangen die Finnen nach der 12. Klasse in einer landesweiten Zentralprüfung. Dass dabei nur fünf Prozent der Abiturienten die höchste Notenstufe erreichen können, steht von vorneherein fest. Auch die übrige Zensurverteilung ist vorgegeben. Der Leistungsdruck beginnt erst in den höheren Klassen. Noten in Ziffern sind ab Klasse 7 Pflicht. Im Unterricht dürfte es der finnischen Mentalität entgegen kommen, dass die mündliche Mitarbeit wenig Stellenwert hat. Mehr Wert wird auf die vielen Referate in Gruppenarbeit und auf die Klausuren gelegt. Für finnische Lehrer ist es ungewöhnlich, dass in Deutschland auch Schüler drangenommen werden, die sich nicht melden.

Es ist doch falsch, wenn ich einen Schüler vor der Klasse blamiere”

„Es ist doch falsch, wenn ich einen Schüler vor den anderen blamiere. Was hat er davon? Lieber frage ich ihn nach dem Unterricht, ob er etwas nicht verstanden hat, weil er sich so lange nicht gemeldet hat Dann erkläre ich es ihm“, sagt die frisch ausgebildete Lehrerin Katri Jäntti.

Positive Bestärkung und Ermunterung aller Schüler, nicht die öffentliche Suche nach Fehlern und Schwächen stehen im Vordergrund. Ausnahmen gibt es nicht, schließlich gibt es in Finnland keine Sonderschulen nach deutschem Verständnis, sondern nur Einrichtungen für Schüler mit schwersten geistigen Behinderungen. Kinder mit Sprachstörungen, Verhaltensauffälligkeiten und geistigen Behinderungen werden in ihren Problemfächern gesondert unterrichtet. In Sport oder Musik nehmen sie wieder ganz normal am Unterricht teil. So wird Integration erreicht. Man kann bis zur 7. Klasse nicht einmal sitzen bleiben.

Für Schwächere gibt es eine Spezialförderung. „Wir sind eben für jeden Schüler verantwortlich“, sagt Katri Jäntti auf die von Ausländern oft gestellte Frage; ob das starre Gesamtschulsystem nicht die besseren Schüler unterfordere. „Der Schüler, der vor mir sitzt, ist meine Aufgabe. Wenn einer nicht lernt, dann liegt das Problem bei mir und nicht bei der Schulform oder gar beim Schüler“, meint Jäntti. Eine erste Differenzierung erfolgt, wenn die Schüler sich für die Oberstufe bewerben. Die zweite kommt bei den strengen Aufnahmetests an den Unis. Die Finnen wissen eben genau, wo die Gleichheit ein Ende hat.

Unterstützung bekommen die Lehrer von einem Team aus Psychologenund Pädagogen für Verbaltensauffällige, Ärzten und Krankenschwestern, das an jeder Schule vorhanden ist. Wichtig dürfte auch sein, dass die Lehrer respektiert werden. Der Beruf genießt hohes Ansehen.

Dies alles kostet viel Geld: Die Finnen geben nicht weniger als 7,3 Prozent ihres Sozialproduktes für die Bildung aus. Deutschland lässt sich die Bereiche Bildung und Forschung nur 2,5 Prozent der Wirtschaftsleistung kosten.

Weiteres Indiz für das hervorragende Abschneiden bei der Pisa-Studie: Wer in Finnland im August eingeschult wird, kann fast immer bis Weihnachten lesen. Die finnische Lesekultur stellt die deutsche weit in den Schatten: 95 Prozent aller Haushalte haben eine Tageszeitung. Die Büchereien sind helle, freundliche und hochmoderne Einrichtungen. Die Stadt Jyväskylä (70 000 Einwohner) beispielsweise hat zehn Büchereien plus Universitätsbibliotheken, von denen an jedem Tag zwischen 9 und 20 Uhr mindestens eine geöffnet ist - auch am Wochenende.

Jeder Ausländer muss Finnisch lernen

Wert legt das Land, in dem jede junge Verkäuferin fließend Englisch spricht, auf Fremdsprachen. Bis zum Abitur muss jeder Finne drei Sprachen können, oft sind es vier oder fünf. Und weil sich der Unterricht am Alltagsgebrauch orientiert (Interpretationen gelten als veraltet), können sie die Sprachen auch anwenden.

Allerdings könnte das finnische System ins Wanken geraten, wenn mehr Ausländer ins Land kommen. Momentan sind es nur zwei Prozent. Und wenige sind eben leichter zu integrieren. Deutliche Antwort darauf vom Verantwortlichen für das Unterrichtswesen, Sarjala: „Sie sollen ihre Kultur behalten, aber sie müssen Finnisch lernen.“

 

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